Auszug aus:
⟢ Theodor Fontane ⟣
⟢ Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Ost-Havelland ⟣
⟢ Berlin 1873 ⟣
Paretz
Die Kirche von Paretz ist ein Platz reicher Erinnerungen, aber Paretz hat der Erinnerungsplätze mehr. Speziell der Erinnerung geweiht ist der "Tempel". Er befindet sich in einer verschwiegenen Ecke des Parks, wo dieser die Havel berührt, und bildet einen Teil des an dieser Stelle künstlich aufgeworfenen Aussichtshügels, der auf seiner Spitze ein japanisches Häuschen, an seiner westlichen Seite eine Rokokogrotte und nach Süden hin ebendiesen "Tempel" trägt.
Dieser Tempel, eine bloße Façade, die auf halbversunkenen dorischen Säulen ruht und zunächst keinem anderen Zwecke gedient haben mochte, als Schutz gegen Regen und Sonne zu gewähren, scheint von Anfang an ein bevorzugter Platz gewesen zu sein, wie es auch in dem laubenreichsten Garten immer noch eine Lieblingslaube gibt, woran sich Leid und Freud des Hauses knüpft, der erste Kuß, die stille Verlobung, Abschied und Wiedersehen.
Zu solchem Platze wuchs der Tempel heran, und der ziemlich nichtssagende Bau, der bei seiner Anlage nichts gewesen war als eine Gärtnerlaune, ein Schnörkelornament, wurde zu einer Familienstätte, zu einem der Erinnerung geweihten Platz.
Dies geschah zuerst im Sommer 1797. Im Winter vorher, am 28. Dezember, war Prinz Ludwig gestorben, der Bruder, zugleich der Schwager Friedrich Wilhelms III., und an der bevorzugten Plauderstelle wurde in den Stein geschrieben: "Er ist nicht mehr."
Die Jahre gingen; so kam der Juli 1810. In die Parkgruft zu Charlottenburg senkte sich der Sarg der Königin; in die Tempelwand zu Paretz wurde eine graue Marmortafel eingelassen, die nunmehr die Inschrift empfing: "Gedenke der Abgeschiedenen." Mehr und mehr erhob sich der Tempel zu einer Stätte des Familienkultus; in seiner Front, an ebender Stelle, wo die heimgegangene Königin so oft geruht hatte, wurde ein Friedensengel mit Kranz und Palmenzweig errichtet; der Tempel von Paretz war zu einem Vereinigungspunkt, fast zu einem Symbol geworden, das jedem Familienmitgliede das Beste bedeutete, was der Mensch hat: Liebe, Treue, Pietät. In diesem Sinne schrieb König Friedrich Wilhelm III. in seinem Testament: "Meine Zeit in Unruhe, meine Hoffnung in Gott... Wenn dieser mein Letzter Wille meinen innigst geliebten Kindern zu Gesicht kommen wird, bin ich nicht mehr unter ihnen und gehöre zu den Abgeschiedenen. Mögen sie dann bei dem Anblick der ihnen wohlbekannten Inschrift: ?Gedenke der Abgeschiedenen!? auch meiner liebevoll gedenken."
Und sie gedenken seiner. Der 7. Juni, der Sterbetag des Königs, ist zu einem Gedächtnistag geworden, und kein Sohn oder Enkel betritt Paretz, ohne an die graue Marmortafel zu treten und freiwillig zu tun, woran ihn die Inschrift mahnt.
Einst befand sich auf dem Grottenberg im Schlossgarten vom Schloss Paretz ein "Japanisches Teehaus". Dieser farbenfrohe Pavillon wurde 1797 auf dem kleinen künstlich angelegten "Berg", dem "Grottenberg", errichtet. Zeichnungen belegen, dass seine Aussenmauern einst bunt bemalt und die Fenster und Türen bunt verglast waren.
Auffälligstes Merkmal von Weitem waren seine aufwendige Konstruktion des Daches, welche sich auf der historischen Aufnahme vom Sommer 1939 gut erkennen lässt und aus zwei Blechdächern bestand. Darunter ist die "Grotte" mit Gittertür und zwei vergitterten Fenstern zu sehen.
Leider verfiel die kleine Anlage nach 1945 zusehends und die baulichen Überbleibsel stellten ab Anfang der Sechziger Jahre zusehend eine Gefahr für neugierige Wanderer und spielende Kinder dar. 1962 entschloss man sich daher die verbliebenen Reste abzutragen und zuzuschütten. Erst in den Jahren 2008 und 2011 wurden durch aufwendige Bodenuntersuchungen Reste der ursprünglichen Struktur wiederentdeckt. Sie gaben Anlass 2013 erste Grabungen zu wagen. Die zu Tage geförderten Funde waren in soweit vielversprechend, dass weitere archäologische Untersuchungen und Planungen angestossen wurden, welche in den Jahren 2018 bis 2020 zur Restaurierung erster Teile des Grottenbergs im Schloss Paretz führten. Damit erhielt auch der Ortseingang "sein altes Gesicht" wieder.
Die Grotte ist heute rudimentär, soweit möglich nach historischen Aufnahmen, Malereien und Zeichnungen wiederhergestellt. Allerdings fehlen bislang die Verzierungen aus Spiegeln, Muscheln, Porzellan im Innern, welche zusammen mit Moos die Grotte vormals verspielt und interessant gestaltet haben.
Ein Geländer, abweichend ausgeführt, sichert heute diesen beliebten Aussichtspunkt. Von dort lassen sich damals wie heute aus Uetz kommende Reisende schon früh erkennen.
Nun wartet der Grottenberg auf die Wiedererrichtung seines kleinen feinen Pavillons...